https://www.youtube.com/watch?v=1RvfDkzUOos

Uganda / Kampala (1989 - 1992)

Ein Besuch in Nakaseke

 

1988 verschlug es uns nach Kampala, der Hauptstadt Ugandas. Es war kurz nach dem Bürgerkrieg, viele Häuser und Straßen waren zerstört, Lebensmittel nur in begrenzter Auswahl zu bekommen und für die größeren, umfangreicheren Einkäufe mußten wir nach Nairobi in Kenia.  Da die Kollegen der deutschen Botschaft auch lange Einkaufs-Wunschlisten hatten, war der Botschafts-Bully, der uns nie im Stich gelassen hat, stets randvoll  bis unter das Dach beladen.  Der Bedarf ging von Mengeweise Mehl (zum eigenen Brot backen), über Butter, die in großen Kühlboxen transportiert wurde, bis zu literweise Milch und bestimmten Fleischsorten.  Krönung war auf der Rücktour immer der Stopp vor dem Grenzübergang in Tororo, wo es eine Champignonfarm gab und eine Molkerei, die frischen Käse verkaufte.  Obligatorisch war natürlich jedes Mal die Bierpause beim Überqueren des Äquators.   Nach so einer mehrtägigen Einkaufsfahrt (meist einmal im Monat) kamen wir uns vor wie im Schlaraffenland.

 

Während des Bürgerkrieges in den 1980ern, war das Nakaseke Hospital die größte und bedeutendste Einrichtung auf dem Gesundheitssektor für die Guerillas  der Nationalen Widerstandsbewegung. Sie wurde von Yoweri Museveni angeführt wurde , der seit 1986 Präsident von Uganda ist. Es liegt ca. 75 km nordwestlich von Kampala, inmitten des berüchtigten und damals immer noch sehr gefährlichen Luwero-Distrikt, bekannt auch als Luwero-Dreieck. Dort tobte unter dem Präsidenten Milton Obote der "Luwero-" oder auch  "Busch-Krieg", der bis in die Mitte der 80er tausende von zivilen Opfern gefordert hatte.

Nach einem Besuch des Nakaseke Hospital, für das die Deutsche Marlene Walter verantwortlich tätig war und  in dessen unmittelbarer Nachbarschaft sich auch das von Marlene in Eigeninitiative neu errichtete Kinder- und Waisenheim befindet, bat mich der "Uganda-Freundeskreis, Verein für deutsch-ugandische Völkerverständigung e.V.",  einen kleinen Bericht für deren Informationsblatt "Nakaseke-Info" zu erstelllen. Das hab ich natürlich mit Freude gemacht und wer Spaß dran hat, mehr über diesen Besuch zu erfahren - er ist herzlich zum Lesen eingeladen:

 

Wie oft hatte ich schon gehört von Marlene Walter und dem Nakaseke-Hospital, in dem sie arbeitet- vor allem aber von ihrem Kinderheim, dem Waisenhaus in Nakaseke.

Marlene selbst hatte ich in Kampala schon kennen gelernt, aber nun bot sich die Gelegenheit sie einmal in Nakaseke zu besuchen. Ein paar Tage vor Weihnachten (1989) kam sie zu Besuch nach Kampala und bat Jochen, meinen (eigene Anm.: damaligen ) Mann, doch einmal nach der Wasserpumpe im Hospital zu sehen. Sie habe ihren Dienst versagt.

So machten wir uns am 2. Weihnachtstag, begleitet von meinem Sohn und meiner Mutter, die aus Deutschland zu Besuch bei uns waren, auf den Weg.

Nakaseke liegt ca.  75 km nordwestlich von Kampala, wovon die ersten 60 km asphaltierte Straße sind. Dann führt eine durch den Regen ziemlich ausgewaschene "Bushroad" vorbei an Bananen- und Kassavafeldern. Am Wegrand vereinzelte Lehmhütten oder kleinere Ansiedlungen, Überall  werden wir mit lauten "Mwuzungu"-Rufen (= "Weißer") und freundlich winkenden Armen begrüßt, als habe man uns erwartet. Doch unser Weg führt weiter bis wir das Schild sehen: "Nakaseke Hospital, Ministry of Health". Ich bin überrascht. Wo ich eine Art "Urwaldhospital" mit Baracken erwartet hatte, stehen auf einem großen, weitläufigen Gelände einzelne massive Steinhäuser, in denen das Personal wohnt. Weiter hügelaufwärts ein großes , zweigeschossiges Gebäude, das wir als Hospital erkennen. Nach freudiger Begrüßung durch Marlene macht sie einen Rundgang und zeigt uns die Krankenzimmer und die Hospital-Küche, aus der die Patienten mit einer Mahlzeit pro Tag versorgt werden. Da diese Kost aber recht nährwertarm ist, übernehmen die Angehörigen die weitere Versorgung mit Nahrungsmitteln. Wieder bin ich erstaunt, welch ordentlichen und sauberen Eindruck die Stationen machen, zumal ich gerade ein paar Tage vorher in einem Krankenhaus in Kampala ein völlig anderes Bild gesehen habe. Auf der Entbindungsstation erzählt Marlene uns, daß sie über Weihnachten "im Einsatz" war, u. a. bei einem Kaiserschnitt. Wir gratulieren der jungen Mutter und bestaunen das Neugeborene. Zwei weitere "Christkinder" schlafen friedlich im Bett gegenüber: ein Zwillingspärchen. Insgesamt sind zur Zeit nur ca. 60 Patienten stationär untergebracht. Meist fehlt es an Medikamenten, die oft auch von den Patienten selbst lokal besorgt werden müssen.

Nach unserem Rundgang spazieren wir "rüber" zu Marlene's Haus, wo wir freudig von ein paar Kindern begrüßt werden. Eines greift sofort zu einer Gitarre, die im Zimmer steht, setzt sich zu uns in die Runde und beginnt zu zupfen und leise zu singen. Die übrigen Kinder lassen sich teils auf Stühlen, teils auf dem Fußboden nieder und lesen. Währenddessen wird besprochen, was mit der defekten Pumpe zu geschehen hat, die ja der eigentliche Anlaß unseres Besuches war.

Nachdem wir uns am reichgedeckten Mittagstisch die Bäuche "vollgeschlagen" haben, machen wir uns, gleichzeitig als Verdauungs-Spaziergang, auf zum Waisenhaus. Ein Stück durchs Village, einen Seitenweg entlang, vorbei an Zuckerrohr- und Kaffeefeldern, stehen wir plötzlich vor einer großen Auffahrt mit einem bunten Blumenbeet in der Mitte. Dahinter ein großes Gebäude. Während wir dort einen Augenblick verharren, erzählt Marlene uns, welche Arbeit und welchen Aufwand sie hierin investiert hat. Im April 1989 ist das Gebäude fertig gestellt und bezogen worden und bietet Platz für 50 Kinder. Im Augenblick sind hier 27 Kinder im Alter von 1 bis 18 Jahren untergebracht, die von einer "Mutter" und natürlich von Marlene selbst betreut werden. Die Schulpflichtigen besuchen örtliche Schulen, damit sie nicht von den übrigen (externen)  Kindern isoliert werden. Marlene bezeichnet das ganze Projekt als ihr "Hobby"  und berichtet, daß tatsächlich jeder Nagel und jedes Teil am Gebäude (Türen, Fenster usw.) persönlich aus Kampala hergeschafft worden ist, die Steine in Eigenarbeit gefertigt wurden. Das gesamte dazugehörige Gelände von 18 ha, wovon wir einen Teil später noch besichtigen werden, ist von ihr, den Kindern und fleißigen Helfern selbst gerodet worden, und wir sehen, wie dieser Einsatz jetzt bereits Früchte trägt.

Zuerst besichtigen wir natürlich das Gebäude, in dessen Eingang wir gleich von einer Kinderschar begrüßt werden. Eine kleine Gruppe ist leidenschaftlich mit Tischfußball beschäftigt, dem sich nach der Begrüßung auch gleich wieder gewidmet wird. Durch den Eingang gelangen wir in einen großen Innenhof, um den herum sich die einzelnen Räume gruppieren: Mädchenzimmer für die Kleinen, eines für die Großen, Jungenzimmer   -alles ist liebevoll und kunstvoll dekoriert mit selbst gebasteltem Weihnachtsschmuck und Spielzeug-,  weiter dann Wasch- und Duschräume und ein großer Aufenthaltsraum. Im Innenhof ist die "Küche" mit einer offenen Kochstelle, auf der ein riesiger Kochtopf Dampf abläßt. Ein Huhn hat sich's auf einem großen Holztisch, der ein Sammelsurium an Geschirr beherbergt, gemütlich gemacht und läßt sich auch durch uns nicht stören. Andere Artgenossen scharren im Hof herum: die ersten lebenden Beweise für die Selbstversorgung im Hause. Ein paar weitere Beweise grunzen uns zufrieden aus einem Pferch hinter dem Haus an: schwarze und rosa Schweine nebst Ferkeln, die der Fleischversorgung dienen.

Dank des vorher gefallenen Regens bekommen wir auf unserem weiteren Rundgang matschverschmierte Füße, was uns aber nicht vom Staunen abhält, angesichts all der Eigeninitiative, die sich hier "bezahlt" macht: wir staksen mitten durch ein Zuckerrohrfeld, von dem Marlene berichtet, daß die Erträge bereits zu ersten Überschüssen führen, die dann verkauft werden können. Neben dem Zuckerrohrfeld ragen die Kronen von Eukalyptusbäumen heraus, die bei ihrem schnellen Wuchs (ca. 4 m pro Jahr!) die Holzversorgung sicherstellen. Unmittelbar an das Zuckerrohrfeld reihen sich Felder mit Mais, Kohl, Kassava (einer Kartoffelähnlichen Knolle), Ananas, Papaya und Matoke, einer schmackhaften Kochbanane. Dies alles, so hören wir, wird von den Kindern selbst beackert und bepflanzt, und als wir später in die fröhlichen Gesichter sehen, fühlen wir, welchen Spaß sie daran haben.

Nach der Feldbesichtigung setzen wir uns in den ebenfalls weihnachtlich festlich geschmückten Aufenthaltsraum. Einige Kinder gesellen sich zu uns, und bei angeregter Unterhaltung merken wir gar nicht, wie drei der Jungen sich mit je einer großen Trommel "bewaffnen" und etwas abseits hinhocken. Wir nehmen sie erst wahr, als sie zu trommeln beginnen und im selben Augenblick eine ganze Gruppe Jungen und Mädchen durch die offene Innenhoftür laut singend hereintanzen. Vor Überraschung bleibt uns schier die Sprache weg. Die Gruppe formiert sich in der Mitte des Raumes, singt aus voller Kehle Begrüßungslieder,  mehrstimmig, tanzt und klatscht, begleitet von rhythmischen Klängen der Trommeln. Ich bin ergriffen und denke erst nach einer Weile daran, meine Videokamera in die Hand zu nehmen. Ein Gesang und Tanz folgt dem nächsten, ein kleinen Liebeslied an "Mama Walter" und ihre braunen Augen, dessen Text dann auf Jochen (eigene Anm.: mein Ex-Mann) abgewandelt wird. Die Kamera muß ich ein paar Mal absetzen, da meine Augen feucht sind vor Rührung.  Mit welcher Hingabe, wie fröhlich und unbefangen diese Darbietung erfolgt, läßt sich schwerlich in Worte fassen. Der einzige Ausdruck unserer Freude ist ein begeistertes anhaltendes Klatschen zwischen den einzelnen Liedern. Das Lachen können wir allerdings nicht zurückhalten, als der kleine Robert (vielleicht 2 Jahre alt) sich aus Marlene's Armen löst und sein Können als Nachwuchs- und Solotänzer zeigt. Die kleinen Beinchen stampfen energisch auf den Boden, dazu schwingen die Arme, und der ganze kleine Körper biegt sich im Rhythmus. Mit völlig ernstem Gesichtsausdruck und großen Kulleraugen blickt er uns an, ob wir seine Vorführung auch gebührend respektieren. Er ist übrigens ein Findelkind aus dem Rubaga-Hospital in Kampala, dessen Eltern trotz aller Bemühungen unauffindbar blieben. Zu dem unvergleichlichen akustischen Eindruck muß ich noch erwähnen, daß auch der optische noch verstärkt wurde durch die Kleider der Mädchen. Sie wurden alle gerade "frisch" selbst genäht aus einem Ballen geblümtem Stoff in lebhaften bunten Farben - eine Spende aus Deutschland.  Bevor wir uns verabschieden können, haben die Kinder noch einen Höhepunkt parat. Nacheinander kommen aus der singenden und tanzenden Gruppe ein Mädchen auf Marlene zu, ein weiteres auf Jochen, auf meine Mutter, auf Christian, meinen Sohn, und schließlich ein Junge, der mich bei der Hand nimmt. Zum Abschied dürfen wir mittanzen, was wir als eine ganz besondere Ehre empfinden. Mit winkenden Armen verlassen dann die Kinder im Gänsemarsch den Raum, immer noch singend und mit den Hüften schwingend tanzend. Wir sind zunächst noch überwältigt und tief beeindruckt.

Nach einem kleinen Eintrag ins Gästebuch machen wir uns auf den Rückweg zu Marlene's Haus und sind erneut fasziniert: ein paar der Mädchen begleiten uns, laufen singend und schwingend vor uns her, ausgelassen klatschen sie zu ihren eigenen Klängen von "Guantanamera". Sobald der letzte Ton verklungen ist, beginnen sie das Lied von vorn. Das geht so die gesamten ca. 20 Minuten, die wir brauchen, um bei Marlene's Haus anzukommen. Bei all dem Schwung ihrer Hüften kommen sie erstaunlicherweise  vorwärts. Am kleinen Marktplatz im Village erfolgt eine scherzhafte Ermahnung von Marlene an die Mädchen, sich "ernst und gesittet" zu benehmen, aber im Alter von ca. 15 - 17 Jahren wird man als Mädchen natürlich auch hier gern von der männlichen Dorfjugend beachtet, und so wird fröhlich weitergesungen und -geschwungen bis wir Marlene's Haus erreicht haben.  Dort erwartet uns schon Christa vom Uganda-Freundeskreis aus Landsberg, die zur Zeit bei Marlene zu Besuch ist und die sofort von den Kindern umringt und mit weiteren Gesängen begrüßt und empfangen wird.

Uns alle gemeinsam empfängt im Haus eine gedeckte Kaffeetafel mit duftendem frisch gebackenem Mango- und Bananenkuchen, sowie gebackenen Kassavastreifen.

Leider müssen wir uns nach diesen lukullischen Genüssen endgültig verabschieden , und es fällt schwer, einen Anfang und die richtigen Worte zu finden. Aber als das getan ist und wir gerade die Autotüren zum Einsteigen öffnen wollen, sind wir plötzlich wieder von den Kindern umringt und jedes hat ein Abschiedsgeschenk in den Händen: selbstgeflochtene Untersetzer, Schmuckteller, kleine Körbchen...... Noch einmal bin ich vor Freude zu Tränen gerührt, nehme das Mädchen, das mich beschenkt hat, einfach in den Arm. Es guckt recht verlegen, als es einen Abschiedskuß bekommt, der eigentlich nur ein hilfloses Dankeschön war.

 

Unsere Rückfahrt verläuft ziemlich schweigend - Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Und noch abends im Bett höre ich "Guantanamera" in meinen Ohren.

 

Ein unvergeßlicher Tag.